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Stellen Sie sich vor, Ihr Herz hört auf zu schlagen – aber keiner kommt helfen. In Deutschland ist diese Gefahr real. Denn die Laienreanimationsquote liegt hierzulande bei etwa 51 Prozent. Das heißt: Nur in etwa der Hälfte der Fälle beginnen Laien eine Wiederbelebung, wenn ein Mitmensch wegen eines Herz-Kreislauf-Stillstands außerhalb des Krankenhauses umfällt.

Damit liegt Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt von etwa 58 Prozent. Was das bedeutet, weiß Dr. Bernd Böttiger: „Jährlich sterben bei uns mindestens 10.000 Menschen, weil sie nicht sofort durch anwesende Laien reanimiert worden sind“, sagt Böttiger. „Das sind knapp viermal so viele wie im Straßenverkehr.“

Böttiger ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln, Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes sowie Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rats für Wiederbelebung (GRC). Er sagt, dass viele Menschen glauben, es reiche in solchen Fällen, den Rettungsdienst zu rufen.

Jährlich sterben bei uns mindestens 10.000 Menschen, weil sie nicht sofort durch anwesende Laien reanimiert worden sind

Das Problem: Bei einem Herzstillstand bricht die Sauerstoffversorgung im Körper zusammen. Schon nach drei Minuten ohne Sauerstoff kann das Gehirn schwere Schäden erleiden – bis hin zum Tod. Bis der Rettungsdienst kommt, dauert es normalerweise aber länger: etwa acht bis zehn Minuten. „Das heißt, der Rettungsdienst kommt eigentlich immer zu spät“, sagt Böttiger. „Es sei denn, er ist gerade um die Ecke.“

Drei Schritte der Wiederbelebung: Prüfen, rufen, drücken

Es sei darum wichtig, dass Ersthelferinnen und Ersthelfer sofort reagieren. Denn: Etwa 65 Prozent der Herz-Kreislauf-Stillstände ereignen sich zu Hause[1]. Viele Initiativen raten darum zu: „Prüfen, rufen, drücken“. Das heißt: Prüfen Sie, ob jemand einen Kreislaufstillstand hat. „Sprechen Sie den Menschen an, schütteln Sie ihn an den Schultern, zwicken Sie ihn auch mal“, sagt Böttiger.

Falls die Person nicht reagiert, prüfen Sie, ob sie atmet: Achten Sie zum Beispiel darauf, ob sich der Brustkorb hebt und senkt. Wählen Sie dann sofort den Notruf, also die 112 – und beginnen Sie mit der Herzdruckmassage. Falls eine weitere Person in der Nähe sein sollte, sollten Sie die bitten, den Notruf zu wählen. Ansonsten stellen Sie das Handy am besten auf Lautsprecher, während Sie reanimieren.

Bei der Herzdruckmassage machen Sie – wenn möglich – den Brustkorb frei, legen die Hände mittig zwischen die Brustwarzen und drücken mit übereinander gelegten Händen kräftig auf den Brustkorb. Halten Sie die Arme dabei gestreckt und die Schultern über den Brustkorb.

Sprechen Sie den Menschen an, schütteln Sie ihn an den Schultern, zwicken Sie ihn auch mal

Richtiger Rhythmus bei der Herzdruckmassage

Expertinnen und Experten nennen für die Herzdruckmassage zur Wiederbelebung eine Taktfrequenz von zweimal Drücken pro Sekunde. Wem das zu abstrakt ist, kann in seinem Kopf ein passendes Lied singen: Oft wird zum Beispiel „Stayin´ Alive“ von den Bee Gees genannt. Aber auch „Atemlos durch die Nacht“, „Highway to Hell“ oder der Radetzky-Marsch sind möglich.

„Egal, was man nimmt: Jeder Mensch sollte sich schon jetzt für ein passendes Lied entscheiden“, sagt Böttiger. Eine Liste mit passenden Songs finden Sie auf der Website des Deutschen Rats für Wiederbelebung.[2]

Und: Drücken Sie fünf bis sechs Zentimeter tief. „Das ist ungefähr die Breite eines Smartphones“, sagt Böttiger. Dabei sollten Sie sich keine Sorgen machen, dass Rippen brechen könnten. „Die heilen ja wieder“, sagt Böttiger. „Aber wenn jemand nach einer Wiederbelebung mit gebrochenen Rippen in die Klinik kommt, weiß ich: Da hat jemand alles gegeben, und das ist gut.“

Wenn mehrere Personen vor Ort sind, sollten Sie sich abwechseln. „Die Herzdruckmassage ist anstrengend, auch für kräftige Menschen“, sagt Böttiger. „Wenn man allein ist, muss man aber so lange reanimieren, bis der Rettungsdienst kommt.“

Ist eine Mund-zu-Mund-Beatmung nötig?

Eine Mund-zu-Mund-Beatmung, wie früher empfohlen, sei nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen[3] von geringerer Bedeutung. „Man kann beatmen, wenn man es sich zutraut – muss es aber nicht.“ Als Ausnahme nennt Böttiger die Reanimation bei Kindern, wenn jemand ertrunken sei oder sich erhängt habe.

Man kann beatmen, wenn man es sich zutraut – muss es aber nicht

Wenn mehrere Personen vor Ort sind, kann man auch einen anweisen, einen Defibrillator zu holen. Deren Einsatz empfiehlt Experte Böttiger aber eher Menschen, die sich damit auskennen. „Häufig verzetteln sich Laien dabei. Und jede Unterbrechung der Herzdruckmassage verschlechtert das Überleben“, sagt Böttiger. „Bis ausgebildete Ersthelfende oder der Rettungsdienst eintreffen und einen Defibrillator mitbringen, reicht ‚Prüfen, rufen, drücken‘. Das ist die Bürgerpflicht, das muss jede und jeder können. Beatmung und Defibrillatoren sind die Kür.“

Reanimation zuhause üben

Univ-Prof. Dr. Bernd Böttiger

Univ-Prof. Dr. Bernd Böttiger

Grundsätzlich sei Wiederbelebung für jeden gesunden Erwachsenen mit „Prüfen, rufen, drücken“ zu schaffen, sagt Böttiger. Wer seine Kenntnisse auffrischen möchte, sollte am besten einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen. Wie Sie Ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen können, lesen Sie hier.

Zudem können Sie Zuhause trainieren. Eine Reanimationspuppe können Sie selbst basteln: Nehmen Sie dazu eine leere Plastikflasche, stecken Sie die verschlossene Flasche mittig in ein T-Shirt und füllen Sie die Seiten mit Füllmaterial wie zerknülltem Zeitungspapier. „Das ist zwar nicht ganz genauso, als wenn Sie auf einen Körper drücken“, sagt Böttiger. „Aber es ist schon faszinierend ähnlich.“ Eine bebilderte Anleitung finden Sie hier auf der Internetseite des Deutschen Rats für Wiederbelebung[4].

Apps alarmieren Ersthelfer in der Nähe

Falls Sie eine Erste-Hilfe-Ausbildung haben, können Sie sich auch als Ersthelferin oder Ersthelfer anmelden. In Deutschland gibt es je nach Region verschiedene Ersthelfer-Apps. Wer sich anmeldet, wird per Smartphone bei einem Notfall in der Nähe benachrichtigt. Ersthelfende sind normalerweise aber nicht verpflichtet, ständig verfügbar zu sein oder immer zum Notfall zu eilen.

Wir haben ausgerechnet, dass die Bundesrepublik jährlich zwischen einer und vier Milliarden Euro sparen würde, wenn mehr Laien reanimieren würden

Die Gesellschaft würde jedoch sehr profitieren, wenn sich mehr Menschen engagieren würden. Denn Studien haben gezeigt, dass die Überlebensrate verdreifacht wird und dass auch Hirnschäden bei Betroffenen seltener auftreten, wenn Laien sofort reanimieren. Die Folge: Viele Betroffene können ohne Einschränkungen weiterleben. Zudem gehen etwa drei Viertel der aus dem Krankenhaus entlassenen Patientinnen und Patienten später auch wieder arbeiten[5].

„Wir haben ausgerechnet, dass die Bundesrepublik jährlich zwischen einer und vier Milliarden Euro sparen würde, wenn mehr Laien reanimieren würden“, sagt GRC-Chef Böttiger. „Mit dem Geld können Sie einen Großteil des Rettungsdienstes finanzieren.“

Wiederbelebung in Dänemark als Vorbild

Deutlich besser läuft das Thema bei Deutschlands Nachbarn. Böttiger hebt hier besonders Dänemark hervor: Das Land hat aktuell eine Laienreanimationsquote von etwa 80 Prozent. Anfang der 2000er-Jahre betrug sie etwa 20 Prozent[6]. Als Reaktion hatte die damalige dänische Regierung von 2001 bis 2010 eine öffentlichkeitswirksame Kampagne umgesetzt. Zudem wurden 150.000 Lern-Pakete über Erste Hilfe verteilt.[7] Die enthielten zum Beispiel Lehrvideos und aufblasbare Reanimationspuppen.

Seit 2005 ist dort zudem Reanimationsunterricht in Schulen gesetzlich verpflichtend. Und seit 2009 wurde die Telefonreanimation landesweit verbessert und es gibt einheitliche Regeln. Telefonreanimation heißt: Leitstellen weisen Anrufende per Telefon an, wie sie Betroffene reanimieren können. „All das könnte eine gute Blaupause für uns sein“, sagt Böttiger.

Was Deutschland für mehr Laienreanimation tun muss

Tatsächlich fordert der Deutsche Rat für Wiederbelebung (GRC) viele Dinge, die Dänemark umgesetzt hat. Landesweit einheitliche Vorgaben für Telefonreanimation zum Beispiel mindestens[8] seit 2010[8], und seit 2014 verpflichtenden Reanimationsunterricht [9]ab der siebten Klasse. „Theoretisch kann man schon mit vier Jahren anfangen“, sagt Böttiger. „Kinder können zwar nicht drücken, aber prüfen und rufen. Und sie können es Erwachsenen wie Familienmitgliedern zeigen. Die meisten Kreislaufstillstände passieren ja zuhause.“

Damit sich in Deutschland etwas ändert, startete der GRC vor der Bundestagswahl 2021 eine Petition[10]. In der forderten Expertinnen und Experten verpflichtenden Reanimationsunterricht ab der siebten Klasse. Fast 85.000 Menschen fanden das gut und unterschrieben. 2022 übergaben Böttiger und die bekannte Notfallmedizinerin und Videoproduzentin Doc Caro die Petition an den Bundestag.

Zumindest im Saarland ist mittlerweile Reanimationsunterricht in der Schule Pflicht – allerdings nur in Gymnasien. Ansonsten hat die Politik bei dem Thema bisher nichts geändert. GRC-Chef Böttiger kann das nicht verstehen: „Ich habe zu einer Kollegin einmal gesagt: Mir kommt es manchmal so vor, als würde ich etwas Verbotenes fordern. Dabei geht es um Leben und Tod.“

Aktionsplan Wiederbelebung mit konkreten Forderungen.

Im März 2023 veröffentlichte die GRC zudem einen „Aktionsplan Wiederbelebung[11]“. Darin fordern Expertinnen und Experten erneut unter anderem landesweit einheitliche Vorgaben für Telefonreanimation, Schulunterricht ab der siebten Klasse, aber auch eine gesetzliche Verankerung von Erster Hilfe am Arbeitsplatz, außerdem mehr Defibrillatoren in der Öffentlichkeit. Auch wünschen sie sich von der Regierung eine zentrale Plattform mit Informationen zu Wiederbelebungen – aufbereitet für jedes Alter.

GRC-Chef Böttiger hofft, dass die Politik den Forderungen nachkommt und sich die Situation bessert. Tatsächlich betrug die Laienreanimationsquote 2010 noch um die 15 Prozent. „Wir sind also auf einem guten Weg, aber noch lange nicht da, wo wir hinwollen“, so Böttiger.

Denn das Ziel ist eine Quote von mehr als 65 Prozent bis 2025. „Ich wünsche mir, dass wir noch dieses Jahr gesetzliche Vorgaben bekommen“, sagt Böttiger. „Dann können wir das gerade noch schaffen.“


Quellen: